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4. Dezember 1861
Guter Sigmund!
Warum lässt du uns so lange auf Brief warten, denkst du nicht an die Verle- genheit, welche du uns durch dein langes Schweigen versetzest? Zu dem Geburtstage der theueren Mutter hast du nicht einmal Etwas von dir hören lassen. Hast du nicht bedacht, daß ein Brief die guten Eltern weit, weit mehr erfreut hätte, als das Telegraphie. Du hast uns noch gar Nichts über dein Leben in Erlangen mitgetheilt, auch hast du uns nicht berichtet, ob das dir übersandte Zeugnis seine Wirkung gethan. Schreib doch ausführlich u. genau, weißt du doch, dass alles, alles was dich im Geringsten betrifft uns von großem Interesse ist. Doch nun genug der Vorwürfe, du wirst wohl 04121861_0203.jpg
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umsehen, dass du sie alle rechtlich verdient hast. – Vor allem eine wichtige Neuigkeit, unser l. Louis ist seit 14 Tagen in das Tuchgeschäft „Edenfeld“ eingetreten. Wir sind ganz glücklich darüber, denn es ist dies ein Haus, in welchem es ein junger Mann zu etwas Tüchtigem bringen kann. Er muß 3 Jahre lernen. Ferner wird dich noch interessieren zu hören, dass Chora (?) Stern sich mit Herrn Dr. Max Kalisch aus London verlobt hat. Man sagt hier Allgemein u. Frau Dr. Stern selbst hat es der l. Mutter erzählt, dass Frau Baron von Roth- schild die Parthie gemacht habe. Eine edle Dame!?! Nicht Wahr? Nachdem Herr Kalisch ohngefähr 8 Tage hier in Frankfurt verweilt hatte, wurde uns die Ehre seines Besuches zu theil. Wir luden ihn darauf hin zum Thee ein u. er nahm die Einladung an, kam obgleich um 6 Uhr eingeladen, erst um 7 Uhr u. blieb obgleich zum Abend- Seite 3
essen erwartet danach uns bis 8 Uhr bei uns. Anderen Tages wurde uns seine Verlobung an- gezeigt. Er ist ein kleiner schwatz- hafter Mann, ein Egoist, der immer nur von sich spricht. Wir hatten uns (Bella) nicht anzustrengen. Er führte die ganze Un- terhaltung. – Noch eine Neuigkeit will ich dir mittheilen, denke dir dein Colle- ge Herr Dr. Stern ist Bräutigam mit fl. 60.000, nicht wahr schöne Aussichten? Seine Braut ist Frl. Toni Beuell (?) aus Mannheim. – Herrn Alexander Strauß, welchen ich dieser Tage begegnete, erzählte mir, er habe dich bei deiner Übersiedlung von Erlangen nach München gesprochen. Hast du Herrn Blüm (?) die gestohlenen Bilder mitge- geben? Letzterer ist noch nicht von sei- ner Geschäftsreise zurückgekehrt. Wir haben jetzt sehr gerngesehenen Besuch, Flora Wagner aus Mannheim, ein sehr geistreiches u. liebenswürdiges Mädchen, schade, dass du nicht hier bist Seite 4
von Isaak haben wir noch keine Nachricht. Unserer lieben Bella (?) geht es sehr gut. Sie schreibt allwöchent- lich herrliche Briefe. Du würdest ihr und uns eine große Freude damit machen, wenn du ihr ein Brieflein zukommen ließest. ... du mit Herrn Dr. Herz schon sehr liirt? Gefällt es dir in Erlangen so gut wie in München? Kommst du oft nach Nürnberg? Doch nun theuerster Sigmund will ich schließen, weil die l. Eltern noch schreiben wollen. Lebe wohl u. erfreue bald mit einem Brief deine dich ewigliebende Muthi
.. Gruß! – Schreibe ja bald und ausführlich! – Vergiß nicht – hörst du, l. Sigmund! – vergiß nicht, den ersten freien Tag, welchen du hast, nach Dormitz zu gehen und dort meinen Bruder zu besuchen, jedenfalls umgehend einen jämmerliches Brief (an Vorbeter Jacob Brandiß) dortselbst zu schreibem
Vater Stein
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